Nein, ist er nicht. Eine provokante Aussage, oder? Merke ich immer wieder in diversen Diskussionen, wenn ich anmerke, daß der heutige Haushund kein Rudeltier (mehr) ist und es wahrscheinlich seit Beginn der Zucht und Selektion durch den Menschen nie war. Empörte Reaktionen erntet man dann. Und ich muß mir anhören, wie dumm ich wäre und woher ich mein Wissen denn hätte.
Also im Grunde ist es gesunder Menschenverstand und es basiert auf eigenen Beobachtungen. Und nicht zuletzt tut es ein Blick ins Tierschutzgesetz. Dort ist die artgerechte Haltung eines Tieres genannt. Was heißt artgerecht? Dass ich es seiner Art gerecht halten muß. Bedeutet für ein Rudeltier, daß ich mindestens ZWEI Exemplare halten muß, um nicht gegen das Tierschutzgesetz zu verstoßen. Jeder einzeln gehaltene Hund wäre somit ein Verstoß gegen unser Tierschutzgesetz. Ist jemandem ein Fall bekannt, wo das geahndet wurde? Mir nicht…
Und wer lebt mit nur einem einzelnen Hund zusammen und empfindet diese Konstellation als harmonisch und glücklich? Wer ist zudem noch mit einer ausgeprägten Leinenaggression gegen Artgenossen gesegnet oder hat seine liebe Mühe mit einem Hund, der im Freilauf am liebsten alle andere vermöbelt? Sind diese Hunde wirklich Rudeltiere, die nur in einem Rudel artgerecht und glücklich gehalten werden können?
Dazu gibt es einen interessanten und schlüssigen Artikel der Polarhunde-Nothilfe, aus dem ich zitieren möchte.
Zitat:
„Hunde sind semi-solitäre Lebewesen, die einzeln, in Pärchen oder in Gruppen leben. Ihre soziale Struktur ist mit denen von Kojoten als Hundeartige zu vergleichen. Je nach Nahrungsangebot leben sie in Gruppen oder aber schlagen sich alleine oder mit einem Partner durch die Gegend. Da nun auch Studien nahelegen, dass der Hund nicht vom heutigen Grauwolf direkt abstammt, sondern ihn eine gemeinsam Abstammung von einem „Urahn“ verbindet, ist es durchaus logisch, dass sich beide Arten in ihrer Sozialstruktur unterscheiden.
Auch der Wolf zeigt sich durchaus flexibler, selbst in freier Wildbahn. Das Phänomen der „Casanova-Wölfe“, die sich nicht auf eine feste Paarbindung einlassen, erinnert an den nicht-monogamen Haushund.“
Semi-solitär, also im Grunde Einzelgänger, die in der Lage sind, flexible Bindungen (auch artübergreifend) einzugehen. Günther Bloch hat dies auch in seinem Buch „Die Pizza-Hunde“ so geschildert. Er hat verschiedene, lockere Bindungen bei den Straßenhunden beobachtet, die je nach Lebenslage variieren und nur dazu dienen, das eigene Überleben zu sichern. Dazu besteht noch ein entscheidender Unterschied zwischen lockeren Verbänden einzelner Straßenhunde und einem familiär gewachsenen Rudel. Oft beschriebene Kämpfe haben völlig andere Motivationen.
Mal der Vergleich „natürliches Rudel“ und „Zweckverband Straßenhunde“…:
Die Kämpfe, die man bei Straßenhunden beobachtet hat, drehen sich in 99% der Fälle um Ressourcen, beispielsweise Futter oder auch eine läufige Hündin. Bei Straßenhunden gilt es zu überleben. Und zwar für jeden einzelnen. Der Zweckverband, also Hunde, die sich zusammenschließen, ist meist eine lockere Gruppe ohne festen Bezug. Das kann täglich wechseln. Es ist kein Rudel im natürlichen Sinne, aber dazu gleich. Geht es auf der Straße um Futter, ist sich jeder selbst der nächste. Jeder einzelne will überleben und dann kommt es zu Kämpfen. Ebenso bei der Fortpflanzung. Es geht nicht um das Überleben eines Rudels, sondern um das Überleben jedes einzelnen. Jeder Rüde will für sich die Hündin decken, um das eigene Erbgut weiterzugeben. Auch da kann es Kämpfe geben um die Ressource „Hündin“ bzw. „Fortpflanzung“.
Jetzt der Vergleich zum natürlichen Rudel: Dieses besteht aus den Elterntieren und dem Nachwuchs. Bei Futter miteinander zu kämpfen oder gar die Nachkommen auszuschließen, ergibt überhaupt keinen Sinn. Das würde das Überleben des Rudels gefährden. Im natürlichen Rudel (Familie) geht es ums Überleben ALLER. Sonst wäre das einzelne Individuum verloren. Demnach ergibt es keinen Sinn, Rudelmitglieder von der Nahrungsaufnahme auszuschließen oder darum zu kämpfen. Das passiert im Rudel auch nicht.
Bei der Fortpflanzung ist es ebenso. Eine Hündin wird gedeckt und die anderen werden meist zur gleichen Zeit heiß und dann auch scheinschwanger, oder besser gesagt gehen sie in die Scheinmutterschaft, um den Nachwuchs sitten zu können, wenn das Muttertier beispielsweise jagt oder ihm gar etwas zustößt. Dies sichert das Überleben des Rudels. Es geht nicht um das Überleben eines einzelnen (der alleine verloren wäre), sondern um das Überleben der Gemeinschaft. Daher gibt es auch keine Kämpfe um die Ressource „läufige Hündin“. Normaler Weise wird das erfahrene Weibchen gedeckt, weil diese am besten das Überleben sichern kann. Kommt es zwischen einem der Schnösel (Nachwuchs) mal zu Kämpfen, sind das in der Regel nur Kommentkämpfe, ohne Beschädigungs- oder gar Tötungsabsicht. Der unterlegene verlässt zumeist das Rudel, wandert ab und baut ein neues, eigenes Rudel mit einer Hündin auf.
Anders eben auf der Straße, wo sich einzelne Individuen miteinander arrangieren müssen und keiner wirklich für den anderen einsteht (oder einstehen muß), weil es sich nicht um Familienverbände halndelt. Dort wird auch sehr ernst gekämpft und das andere Tier schwer verletzt und getötet. Das hat mit natürlichem Verhalten in einem Rudel nichts zu tun. Auf engem Raum in den Städten, wo man versucht, sich in der Nähe von Nahrungsquellen aufzuhalten und darum konkurriert, sieht die Welt ganz anders aus als in einem Rudel, das genug Platz hat, ein großes Revier mit ausreichendem Nahrungsangebot für alle Rudelmitglieder.
Beide Lebensformen sind NICHT miteinander vergleichbar.
Ein weiteres Zitat aus obigem Link:
„Mensch und Hund: biologisch kein Rudel!
Der Hund weiß genau: Wir sind keine Hunde! Sowohl geruchlich als auch optisch ist das für den Hund ein klarer Fall. Wir müssen uns also nicht „verhundlichen“, ein gut sozialisierter Hund nimmt viele unserer groben Bewegung nicht mal mehr als Bedrohung wahr. Natürlich kann man darauf achten, einen Hund nicht anzustarren oder uns über ihn zu beugen, aber mehr müssen wir uns nicht zum Hund machen – denn oft machen wir uns nur zum Affen damit.
Hundliche Maßregelungen dienen obendrein nicht der Erziehung. Zumindest nicht so, wie der Mensch Erziehung definiert. Ein einmaliges Abschnappen der Mutterhündin wird beim Welpen nur selten dazu führen, dass er sein Verhalten komplett löscht. Findige Hundekinder stellen das Verhalten ihrer Mutter gegenüber ab, behalten die Verhaltensweise aber ansonsten bei.
Überträgt man das auf Hund-Halter-Teams, wird einem schnell klar: Maßregle ich meinen Hund, wird er wohlweislich das Verhalten mir gegenüber nicht mehr zeigen, unter der Oberfläche ist es aber noch da.
Hunde wissen, wie sie einen Aggressor beschwichtigen, egal ob dieser ein Hund oder ein Mensch ist.“
Rudel existieren ausschließlich innerartlich und bestehen aus miteinander verwandten Tieren. Es sind Familien und sie sind auch so aufgebaut. Es herrscht keine hierarchische Dominanz, wie sie heute gerne von selbsternannten „Rudelführern“ propagiert wird. Die Elterntiere sorgen für den Nachwuchs, bieten Schutz und sorgen dafür, daß die Bedürfnisse befriedigt werden. Der Mensch kann mit einem Hund kein Rudel bilden. Wenn ich mir Wellensittiche halte, bin ich auch nicht Teil des Schwarmes. Trotzdem kann ich eine Beziehung zu einem Wellensittich aufbauen und ihm sogar etwas beibringen. Ich kann erreichen, daß der Vogel mir vertraut. Der weiß dennoch, daß ich kein Vogel bin.
Und der Hund weiß ebenso, daß wir Menschen sind. Hunde verstehen uns Menschen sogar besser, als wir die Hundesprache. Wir sind für ihn also auch kein Ersatzrudel.
Und kennt nicht jeder aus eigener Erfahrung Hunde, die so gar keinen Wert auf Kontakt zu Artgenossen legen…? Oder die gar aggressiv auf andere Hunde reagieren? Oder die Tierheim-Hunde, die explizit nur in Einzelhaltung vermittelt werden, weil sie unverträglich sind?
Natürlich gibt es unzählige Hunde, die glücklich und zufrieden mit Artgenossen zusammenleben. Aber es gibt auch diese, die da gerne drauf verzichten können. Die Bezeichnung „Rudeltier“ trifft auf den Hund allerdings nicht zu. Ein Hund leidet nicht, wenn er allein gehalten wird. Ein Hund bevorzugt sogar den Menschen als Sozialpartner gegenüber einem anderen Hund. Das haben Studien bewiesen. ( Nachzulesen bei Adam Miklosi, „Hunde – Evolution, Kognition und Verhalten“ )
Liebe Grüße
BETTY